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e-book versus Printmedium

Wird das klassische gedruckte Buch bald aussterben?
Werden die E-Reader das Buch bald ablösen?

Befürchtungen in dieser Richtung sind nicht neu – und auch namhafte Professoren der Innung Literaturwissenschaft/Linguistik bzw. Informatik haben derlei Prognosen schon seit einiger Zeit aufgestellt. Ein Anlass, dieser Frage etwas tiefer auf den Grund zu gehen.
Dazu werden wir in den folgenden Tagen und Wochen das Thema von den verschiedensten Seiten angehen ... von der Marktübersicht und kleinen Kaufberatung - bis hin zu wissenschaftlichen Untersuchungen und Beiträgen, welche Veränderungen sich hier möglicherweise sogar gesellschaftlich auftun.
Dieses Thema wird also ständig auch um Fragestellungen und Rubriken erweitert. Wir beginnen mit einem Überblick in die Autoren- und Verlagssituation:

Wirtschaft & Verlagswesen
Die Verlage sind gespaltener Meinung. Manche machen sich ernste Sorgen um den literarischen Nachwuchs und empfinden geradezu Panik bei der Vorstellung, dass in Kürze nur noch schlechte und zweitrangige Schreiberlinge den Markt überfluten – währen ihre Verlagsbüros leer bleiben.
Andere Verlage hingegen wittern ganz neue Chancen für die gesamte Branche also Autoren, Verlage, Buchhandel und sehen sogar ganze Produktionsnieschen, die noch gar nicht ausgefüllt sind..

Autoren – Chancen für die einen – warm anziehen für die anderen
Seit dem Boom auf e-Reader seit dem Jahre 2010 haben sich mittlerweile viele Autoren auf den Weg zum Eigenverlag gemacht. Und die Verkaufszahlen der e-Reader geben ihnen Recht: Der Absatzes der Geräte hat sich von 2010 auf 2011 verdoppelt, und für 2012 ist bereits jetzt eine weitere Verdopelung prognostiziert, wobei das Weihnachtsgeschäft 2012/2013 noch gar nicht angefangen hat. Mit Flachbildschirmen und neuen Handys sind die Deutschen ja bereits seit dem letzten Winter bestens eingedeckt! Und so ist der Weg für Berge von E-book-Readern und somit auch mittelloser Neu-Autoren bestens geebnet.

Diese Entwicklung ist aber gar nicht so neu, denn bereits zu Beginn der 1980er Jahre gab es fast über Nacht eine ähnliche Revolution, die unbekannte Autoren mit wenig finanziellen Ressourcen, von den klassischen Verlagen fern hielt. Sie waren das oft so zermürbende und erfolglose Klinkenputzen vor den großen Verlagstoren leid.
Zunächst nutzten sie dabei die neuen Möglichkeiten preiswerter Kopien – sogar in Farbe, um ihre Werke in kleinen Stückzahlen zu veröffentlichen (Heftbindung für Kleinstwerke, bzw. Klebebindung in der Eigenproduktion ermöglichten das).. Und dann brach Mitte/Ende der 1980er Jahre die mediale Revolution schlechthin aus. Das Zauberwort hieß: DTP = desktop publishing, zu Deutsch: Der Verlag auf dem Schreibtisch. Gemeint war der grandiose Auswuchs des Computerfreaks Paul Brainard, der mit seiner Software PageMaker einen kompletten Verlag auf den Monitor eines Computers zauberte … inkl. sämtlicher Büros und Fähigkeiten von Spezialisten, Setzerei, Grafikbüro mit Schneidemaschine und Klebefolien, Schere, Leuchttisch u.v.m. Genau an diesen sogenannten Druckvorkosten waren bislang viele Autoren gescheitert - selbst finanziell betuchtere.
Nun aber konnten sie im Alleingang ihre Werke eintippen, setzten, formatieren, mit Grafiken versehen, Probeausdrucke (Korrekturfahnen) ausdrucken und schließlich ihre Dateien zu einem Belichterstudio geben. Keine unbezahlbaren 4-Farb-Sätze bei den 'Apotheken der Branche', den Reproanstalten, keine überteuerten Satzkosten, vor allem keine überteuerten Satz-Reparaturkosten, die oft einem vollständigen Neusatz gleich kamen!
Was auf die selbst verlegenden Autoren zu kam, waren einzig die externen Kosten für die Filmentwicklung/Belichtung der Dateien (zwar zwingend aber einmalig) sowie die variablen Druckkosten, die sich an der gewünschten Auflage orientierten.
Dieser Boom rief sogar die Alternative Buchmesse in Frankfurt hervor – direkt vor den Toren der regulären internationalen Frankfurter Buchmesse, die schon damals die größte Buchmesse der Welt war. Die Alternativen saßen also in bester Umgebung.
Und schon diese 'Alternative' verbreitete bei manchen Verlagen Schrecken, denn diese kleine Messe zog nicht nur das allgemeine Publikum magisch an – sondern auch die Fachwelt des Buchhandels. Diese Bücher waren nämlich oft tatsächlich 'anders' – erfrischend anders. Neue Inhalte … neue Aufmachungen - teils spielerische, teils gewagt, aber neu … und endlich in großem Maße von neuen Autoren!
Das Monopol der etablierten unerreichbaren Stars war hier bereits zum ersten Mal eingeknickt.
So nutzen viele unbekannte Autoren diese Möglichkeiten als Sprungbrett, um sich einem größeren Publikum vorzustellen. Und nicht selten entwickelte sich daraus eine Großauflage bei renomierten Verlagen, was beiden beiden Parteien zum Vorteil geriet: Junge Autoren konnten viel effizienter ihre Werke vorzeigen, denn fertig gestaltete Bücher geben nun einmal mehr her und bieten einen Einblick in ein Werk als eine lose Blattsammlung aus Schreibmaschinenpapieren!
Und die Verlage waren ebenso glücklich, denn sie konnten in erheblichem Maße ihre Kosten dämmen: Die gesamten Vorkosten an Grafik, Layout, Satz, Montagen, Filmbelichtung u.a. waren bereits von den Autoren getätigt. Sogar das Marketing konnte anders angegangen werden, denn nicht selten hatten Autoren bereits große Stückzahlen unter die Leute gebracht – teils sogar in mehreren Auflagen. Sie und ihre Werke waren also bekannt.
Die neuen Produktionsmittel förderten also neue Produkte von neuen Autoren und stellten somit alsbald eine Bereicherung für den gesamten Buchmarkt dar.

Eines muss allerdings fairer Weise gesagt werden: Selbst bei höchster Eigenleistung mussten die Autoren damals immer noch eine gehörige Portion an Eigenkapital mitbringen. Diese Tatsache resultierte aus der Notwendigkeit, Bücher zu einem konkurrenzfähigen Preis anbieten zu müssen. Und das ließ sich leider nun einmal einzig über eine kalkulierte Mindestauflage erreichen! Mit anderen Worten: Büchermengen auf Halde prodzuzieren – ob ihr Absatz nun garnatiert war oder nicht!

Der Vormarsch des e-books
Genau hier unterscheidet sich nun das e-book. Es gibt keine Mindestauflage. Es gibt keine Kalkulation für Mindestpreise. Es gibt eigentlich überhaupt keine Kalkulation. Die e-books werden einfach einmalig einem Konsortium angeboten – fertig. Bei Nachfrage rollt der Rubel. Passiert nichts, ist es auch egal. Weitere Kosten werden nicht verursacht - weder teure Lagerungs- noch Versandkosten.

Wer schläft, der stirbt. Das gilt seit den letzten 30 Jahren für die gesamte Industrie – und nun auch für den Buchhandel die Verlage und die Autoren selbst!
Wer die neuen Medien ausschlägt, verliert. Das haben Wirtschaft, Künstler und selbst staatliche Institutionen, gerade in jüngster Zeit, sehr schnell lernen müssen: icq, Facebook, Twitter und Co sind eben doch alles andere als nur jugendliches Spielzeug! Und das gilt auch für den Trend des neuen Mediums e-book!

Skepsis mancher Verlage
Und so fürchten einige Großverlage um ihre Zukunft, genauer gesagt um Nachwuchs der Autoren. Zugegeben, diese Furcht ist nicht völlig unberechtigt. Denn der Siegeszug der Tablets, Multimediapads und Multifunktionshandys ist phänomenal. Eigentlich völlig unverständlich bei der teils schon peinlichen Unausgereiftheit und Inkompatibilität der Hardware. Doch das stört die begeisterten Modetrender nicht. Hier werden offensichtlich ganz neue unterbewusste Ambitionen geweckt: Es ist neuerdings eben 'in', sich technisch neu einzukleiden, es ist 'in', nach außen technisches Verständnis und Kenntnis zu demonstrieren. Das was bei Kindern noch vor Kurzen von oben herunter belächelt wurde, hat sich nun umgekehrt. Die Erwachsenen sind sich bewusst, dass sie in ihrer Technikabscheu ganze Bahnhöfe verpasst haben. Und nun ist es plötzlich auch 'in', seine Jugendlichkeit in Form von technischem Know How in die Öffentlichkeit zu katapultieren.
Und für manchen Leser ist es sogar tatsächlich praktisch, auf einer 160g Zigarettenschachtel 400 Bücher mit in den Urlaub zu nehmen. Ab 50 EUR kann man diesem Spleen bereits nachgehen, und die Folgekosten sind ebenfalls überschaubar, insbesondere, wenn man sich zunächst auf das Angebot unzähliger großer Meister stürzt, die man kostenlos downloaden kann, weil deren Urheberrechte abgelaufen sind. Die Großeltern würden die Hände in die Luft schmeißen vor Glück, wenn sie gewahr würden, dass in Deutschland plötzlich wieder Annette von Droste-Hülshoff gelesen wird … oder diverse wissenschaftliche Bücher, die im Antiquariat unerschwinglich wären, wie Rezensionen über das riesige indische Epos Ramayana. (Als ich seinerzeit darüber meine Examensarbeit schrieb, waren solche Bücher überhaupt nicht erhältlich. Für 20 Pfennig/Seite musste ich derlei Auszüge kopieren lassen. Ein teures Unterfangen für arme Studenten. Und jetzt kann man die Werke komplatt kostenlos herunter laden. Aber Spezialthemen waren schon immerdie Feinde aller Verleger.).
Eine andere höchst beliebte Autorengruppe bilden eben diese neuen unbekannten Autoren, die ihre Werke als e-books zwischen 1 und 3 Euro anbieten! Man wird das Gefühl nicht los, als baue sich in der momentan politisch vollkommen unspektakulären Zeit von Nichtumwälzungen und Nichtansprüchen (in Deutschland!)… eine ganz neue 'Solidarität' der lesenden und schreibenden Massen gegen das Establishment auf.

Chancen für Verlage
Viele Verlage sehen diesem 'Treiben' daher auch gelassen entgegen, denn sie wissen, dass auch diese fast kostenlose Produktionsweise von e-books allein noch keinen Erfolg garantiert. Die Bekanntmachung und die Verbreitung von Werken ist immer noch höchst arbeits- und kostenintensiv. Auch die Produktion selbst birgt manche Probleme und Gefahren in sich. Genau auf diese Marktlücke haben sich daher die ersten großen Verlage gestürzt und bieten parallel zu ihrer klassischen Buchproduktion eine ganz neue Generation von Autoren und Publishing an.
Das Angebot beginnt bei der technisch professionellen Umsetzung oder Konvertierung einer Vorlage (oder einer ehemaligen Druckdatei) in eines der neuen E-book-Formate bzw. eine ganze Batterie von Formaten. Die Vielzahl an Formaten ist ärgerlich aber notwendig, denn die Global Player wie Amazon, Thalia und Co hofieren ihre eigenen e-book-Formate – natürlich, um die Kunden an sich zu binden. Ein Milliardengeschäft.
E-books sind nu einmal keine Printmedien. Sie unterliegen völlig anderen Gestaltungsbedingungen. Und diese sind nicht ganz unkompliziert. Ob die Art des Satzspiegels, die Erstellung von Inhaltsverzeichnissen, die Einbindungs von Grafiken oder Tabellen … nichts gleicht der Produktion eines gedruckten Buches!
Verlage, die auch diese Problematik erkannt haben, gehen rosigen Zeiten entgegen. Denn hier entwickelt sich ein gigantischer Bedarf an Seitenhilfe – Sideware sozusagen:
Bereits die Grundproduktion hat es ins ich, wie oben gezeigt. Darüber hinaus müssen Wege der Verbreitung gefunden werden. Das kann die Buchung bei den Giganten der Onlinevertrieber sein – oder aber auch eine Online-Bereitstellung auf dem Host eines Kleinverlages. Hier entwickeln sich bereits Nieschenbühnen – analog etwa zu Stadtkinos, die sich einem ganz eigenen Programm widmen und auch ihr Publikum haben.
Abgerundet werden die neuen Verdienstmöglichkeiten von der Rubrik 'Werbung und Marketing' denn wie gesagt: Auch e-books verkaufen sich nicht von alleine und werden auch nicht von alleine wahrgenommen. Eine Aufgabe für etablierte oder kleinere Verlage, die sich auf diese Techniken einschießen. Sogar kleinere Autoren selbst können hier die Chance für ein zweites Standbein ergreifen, indem sie ihre Kenntnisse und Erkenntnisse der e-book-Produktion an Kollegen weiter geben. Und über die letztlich doch wesentlich preiswerteren e-books werden sich manche Autoren (analog zur DTP-Einführung) auf dem Onlinemarkt etablieren und mit ihren wachsenden Einnahmen ein 'echts' Buchprojekt im klassischen Printbereich anvisieren können, das sie auf anderem Wege niemals hätten realisiert können.
Der Markt bietet also reichlich Chancen für viele Arbeitsschritte und eröffnet sogar ganz neue Produktionswege.


Fazit:
Während die einen sich echte Sorgen um den jungen Nachwuchs machen, sehen andere gelassen der e-book-Entwicklung entgegen, denn: Eine 1.500 Jahre lang benutzte und bewährte Lesegewohnheit lässt sich nicht innerhalb einer halben Generation beenden oder austauschen. Und zu neuen Jobs wird es auch führen. Es wiederholt sich also ein ähnlicher Medienwandel wie zu Beginn der 80er Jahre, wo zum ersten Mal eine Welle ganz anderer und neuer Autoren die Buchlandschaft überschwemmte, als die Druckvorstufe von den Autoren in die eigene Hand genommen werden konnte – dank der Computertechnologie.

Ein generelles Nachwuchsproblem ist also nicht in Sicht. Im Gegenteil: Es wird Autoren in Hülle und Fülle geben, denn die Konkurrenz wird unerschöpflich und erneuert sich täglich. Da werden sich manche Alt-Autoren warm anziehen müssen. Denn die gewohnte Erfolgsautomatik scheint zu schrumpfen … ja löst sich möglicherweise gänzlich auf. Und was die Qualität der neuen Autoren betrifft … nun ja. Wenn wir betrachen, was wir in den letzten 10 Jahren an Goastwriter-Biografien und Kochrezepten von Schauspielern und sonstigen sogenannten 'Promis' haben über uns ergehen lassen müssen … dann sehe ich dem Schwarm der neuen Autoren wahrlich mit großer Freude entgegen.
(Volker Schlee, November 2012)

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